Von links nach rechts: Elmar Steinbacher, Ministerialdirektor des Justizministeriums; Dr. Boris Weirauch MdL, SPD; Marion Gentges MdL, CDU; Moderatorin Julia Herrmann, Netzwerk Straffälligenhilfe; Thomas Henschel MdL, Die Grünen; Prof. Dr. Ulrich Goll MdL, FDP; Dr. Nicole Bögelein, Universität Köln.
Die Haftanstalten in Baden-Württemberg sind überbelegt. Baden-Württemberg nimmt mit der derzeitigen Belegungsquote im Bundesvergleich einen absoluten Spitzenwert ein. Vor diesem Hintergrund sind Forderungen nach einer besseren Personalausstattung und Überlegungen zum Neubau von Justizvollzugsanstalten nachvollziehbar. Aus Sicht des Netzwerks Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg GbR sollten aber auch die Chancen zur Problemlösung ergriffen werden, die in neu einzuführenden Maßnahmen zur Haftvermeidung und Haftverkürzung liegen.
Die Vertreter aus Politik sowie Wissenschaft und Forschung diskutierten mit rund 100 Tagungsgästen über die Möglichkeiten der Haftvermeidung und Haftverkürzung in Baden-Württemberg. Die hochrangige Referentenliste der Tagung zeigt, welche Bedeutung dem Thema beigemessen wird.
Herr Martin Finckh (Leiter der Abteilung IV des Ministeriums der Justiz und für Europa Baden-Württemberg) legte anhand der Zahlen eindrucksvoll dar, dass der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in vielen Fällen eine arbeitsintensive und herausfordernde Aufgabe für den Justizvollzug darstellt.
„Die aktuell deutliche Überbelegung, insbesondere im geschlossenen Männervollzug, wird durch die Ersatzfreiheitsstrafe weiter verschärft. Die Gefangenen bringen seit Jahren bestehende Problemlagen und akute medizinische, psychische und soziale Krisen mit in die Haft. Eine umfassend resozialisierungsfördernde Behandlung im Vollzug ist aber schon aus Zeitgründen nur in sehr begrenztem Umfang möglich“.
Die Studienergebnisse von Frau Dr. Nicole Bögelein vom Kriminologischen Institut der Universität Köln zur Population der Ersatzfreiheitsstrafler legen die Gegebenheiten im Justizvollzug aus wissenschaftlicher Sicht dar. Ihre These besagt: „Die Ersatzfreiheitsstrafe betrifft hauptsächlich Personen, die in Armut und am Rande der Gesellschaft leben. Diese Menschen sind von besonderen sozialen Problemlagen betroffen und deren Lebenslagen sind von überdurchschnittlicher Arbeits- und Wohnungslosigkeit, fehlenden sozialen Bindungen und Suchterkrankungen geprägt. Diesen Menschen fällt es im besonderen Maße schwer, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen und haben daher einen besonders intensiven Unterstützungsbedarf.“
Auf diese Entwicklungen hat das Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg GbR mit einem Positionspapier reagiert, welches gezielt Möglichkeiten zur Haftvermeidung und Haftverkürzung in Baden-Württemberg aufzeigt. Dadurch werden positive fiskalische Effekte für den Landeshaushalt erzielt und gleichermaßen positive Effekte durch die soziale Integration der Verurteilten und die positiven Auswirkungen auf die Legalbewährung erreicht.
Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen, Vorsitzender des Verbands Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg zeigte in seinem Vortrag auf, welche rechtlichen Grundlagen geschaffen werden müssen, um die Maßnahmen in Baden-Württemberg erfolgreich zu implementieren. Sein Fazit: „Mit wenigen leicht umsetzbaren Rechtsänderungen auf Landesebene, beispielsweise im Rahmen der sog. „Tilgungsverordnung“, könnten spürbare Verbesserungen bei der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen erreicht werden. Wir hoffen, dass das Ministerium der Justiz und für Europa die aktuell noch bestehenden rechtlichen Hürden rasch aus dem Weg räumt“.
Im Rahmen der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die Möglichkeiten der Haftvermeidung und Haftverkürzung mit den Landtagsfraktionen, wie auch Ministerialdirektor Elmar Steinbacher und Frau Dr. Bögelein als Vertreterin für die Wissenschaft und Forschung erörtert. Ministerialdirektor Elmar Steinbacher wie auch die anwesenden Sprecher der Landtagsfraktionen begrüßten die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Vermeidung von Haft, im besonderen Maße im Bereich der gemeinnützigen Arbeit sowie der Tilgungsberatung. Diese erweiterten Maßnahmen sollen in Baden-Württemberg umgesetzt werden, damit Menschen die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, diese durch Ratenzahlungsvereinbarungen oder gemeinnütziger Arbeit doch noch abwenden können.
Bericht: Julia Herrmann